Im Aschermittwochsgottesdienst warb ich bei Schülerinnen und Schülern und Kolleginnen und Kollegen darum, sich bei der Fastenaktion „7-Wochen-ohne“ zu beteiligen. Durch das Verzichten auf Liebgewordenes - sagte ich - könnten wir neue Erfahrungen machen und Einsichten in das Wesentliche gewinnen. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob sich unter meinen Zuhörern tatsächlich Mitfastende finden würden.
Damals, am 26. Februar, konnte ich noch nicht ahnen, dass wir kurze Zeit später alle miteinander eine große Gemeinschaft Fastender sein würden. Wir verzichten mittlerweile nicht nur auf etwas Liebgewordenes, wie Süßigkeiten, Fleisch oder Fernsehen, das Corona-bedingte Fasten geht viel weiter. Unser Verzicht betrifft direkte menschliche Kontakte, Café- und Restaurantbesuche, die Teilnahme an Training und Sportveranstaltungen, ja Freizügigkeit überhaupt. Kann in einem so umfassenden Fasten noch ein positiver Aspekt, eine Chance stecken?
Seit die Kontaktsperre in Kraft getreten ist, verlasse ich regelmäßig morgens zwischen 7.00 Uhr und 8.00 Uhr das Haus, um in der frischen Luft eine Runde im Kurpark zu drehen. Ich sehe Enten und Gänse und Singvögel, höre, wie sie sich recht lauthals verständigen, achte auf die Sonnenstrahlen, die zwischen den Bäumen hindurchblinzeln, nehme das Plätschern der Usa wahr und treffe zwischen verbissenen Joggern und Power-Walkern auch immer wieder Menschen, die nach einem freundlichen „Guten-Morgen-Wunsch“ ebenso freundlich zurückgrüßen. Ganz erfüllt von diesen Erlebnissen komme ich dann nach einer halben Stunde wieder zurück. Vor Corona habe ich mir die regelmäßige Parkrunde nicht gegönnt. Zuhause bekamen alte CDs neue Bedeutung, ich freue mich über jeden Anruf und habe meinerseits angefangen, mich bei Menschen zu melden, die lange nichts mehr von mir gehört haben.
In dem „großen Fasten“ steckt - wie ich finde - eine Chance, das Leben mit anderen Augen zu sehen, auf die kleinen, schönen Dinge zu achten, die man im normalen Alltag leicht übersieht und dabei auch all das ganz neu wertzuschätzen, was bisher selbstverständlich war und einem jetzt schmerzlich fehlt.
Ich will die schlimme Viruserkrankung, die viele Menschen gefährdet und die auch schon etliche Todesopfer gefordert hat, in keiner Weise bagatellisieren, aber das Gute, das im Schlechten versteckt sein kann, das lässt sich finden!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch noch eine entdeckungsreiche Rest-Fastenzeit!
Ernst Widmann (Schulpfarrer, Sankt Lioba Schule, Bad Nauheim)