Begrüßung der deutschen Gäste vor der Kathedrale von Caen
Caen - Bad Nauheim, Bad Nauheim - Caen
Natürlich hatte die Pandemie in den vergangenen Jahren auch der Organisation des Schüleraustauschs zwischen der Sankt Lioba Schule und ihrer Partnerschule im französischen Caen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach mehrmaliger Verschiebung des Austauschs und Wochen des Bangens konnten aber tatsächlich im Mai/Juni dieses Jahres 44 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 8 und 9 der Sankt Lioba Schule – so viele wie nie zuvor – ihre französischen Partnerinnen und Partner in Deutschland begrüßen und anschließend selbst nach Frankreich fahren. Wie durch ein Wunder trat weder vor noch während der ganzen Austauschzeit ein einziger positiver Fall bei den deutschen oder bei den französischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern samt den begleitenden Lehrkräften auf.
Die Freude war riesig, endlich einmal die Möglichkeit zu haben, in einer Familie im anderen Land zu leben, Land und Leute, Kultur, Privat- und Schulleben des Partnerlandes live zu erleben, statt davon nur aus Schulbüchern oder Filmen zu erfahren. Dank der digitalen Medien hatten die Schülerinnen und Schüler bereits regen Kontakt zu ihren Partnerinnen und Partnern gehabt, doch trotzdem war die Aufregung groß, als die Franzosen schließlich in Bad Nauheim ankamen. Bei den meisten legte sich jedoch die anfängliche Nervosität relativ bald, als sie merkten, dass sie die fremde Sprache besser beherrschten als sie dachten, dass der andere in vielerlei Hinsicht doch nicht so anders war und dass die jeweils zehn Besuchstage aufgrund der schulischen, aber auch aufgrund der zahlreichen von den Familien organisierten Ausflüge und Aktivitäten sehr schnell vorbeigingen.
In Deutschland konnten die französischen Partnerinnen und Partner bei einer Führung Friedbergs Geschichte und Altstadt kennen lernen, in die Mikwe hinunter- und auf den Adolfsturm hinaufsteigen. Mit einer Stadtrallye wurde ihnen Bad Nauheim näher-gebracht, außerdem haben sie Point Alpha und Frankfurt besucht und einen Vormittag mit Mitarbeitern der Roten Pumpe in den Streuobstwiesen Niedermörlens verbracht. Gemeinsam mit den Deutschen wurden die Keltenwelt am Glauberg mit Workshops zu keltischen Fertigkeiten sowie das mittelalterliche Büdingen erkundet. Zur offiziellen Begrüßung in der Schule mit Apfelschorle, Brezeln und typisch deutschen Süßigkeiten war nicht nur Schulleiter Bernhard Marohn anwesend, sogar Bürgermeister Klaus Kreß war für eine freundliche Begrüßungsansprache gekommen. Der erste Teil des Austauschs endete mit einem deutsch-französischen Fest in der Schule, bei dem zu Ehren der Austauschpartnerinnen und -partner Flammkuchen serviert wurden, dem die Besucher aus der Normandie höchste Anerkennung aussprachen. Spontane Tänze im Schulhof und Fußballspiele in der Sporthalle bewiesen, dass sich freundschaftliche Beziehungen zwischen den Deutschen und den Franzosen gebildet hatten bzw. am Wachsen waren.
In dieser Hinsicht war es förderlich, dass der Gegenbesuch direkt eine Woche später stattfand, auch wenn das für beide Seiten äußerst anstrengend war. Die Schülerinnen und Schüler freuten sich sehr, sich wiederzusehen, und sie konnten problemlos an den Erfahrungen der vorangehenden Woche anknüpfen. Am Vormittag nach der Ankunft wurden die deutschen Gäste feierlich in der Schule begrüßt – wie es sich gehört, mit Croissants. Sowohl der Schulleiter als auch die stellvertretende Bürgermeisterin von Caen hielten eine enthusiastische Rede, in der sie die Bedeutung von Schüleraustauschen für die deutsch-französischen, europäischen sowie internationalen Beziehungen, für die eigene berufliche Zukunft sowie für die persönliche Entwicklung und Horizonterweiterung herausstrichen. Beide sagten ihre Unterstützung für den Austausch auch in der Zukunft zu.
Während ihres Aufenthalts lernten die Lioba-Schülerinnen und -Schüler das französische Schulsystem und -leben eingehend kennen und erfuhren viel über Caen, die Stadt Wilhelm des Eroberers, über die stattliche Männer-Abtei, die heute Rathaus und Museum ist, über die mächtige, die Stadt überragende Burganlage, über den zweiten Weltkrieg und die Landung der Alliierten an den Stränden der Normandie sowie über die Bombardierung Caens. Die Bad Nauheimer Gruppe hatte sogar das Glück, am Wochenende der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie zu sein, und ein Großteil der Schülerinnen und Schüler wurde von den Gastfamilien zu Militärparaden, Patrouillen, Festivitäten und Feiern anlässlich dieses Ereignisses mitgenommen. Dies war einerseits sehr beeindruckend, andererseits aber auch etwas befremdend, weil die Deutschen so etwas nicht mehr gewöhnt sind. Manche Familien haben sogar die Fahrt nach Paris auf sich genommen, um ihren Gastschülerinnen und -schülern die französische Hauptstadt zu zeigen, aber die meisten haben den Jugendlichen den Strand geboten, der für die Menschen in Caen eine Selbstverständlichkeit, für die Wetterauer Schülerinnen und Schüler aber eher eine Besonderheit ist.
Ein besonderes Highlight war der gemeinsame Ausflug mit den französischen Gastgeberinnen und Gastgebern zum Mont St. Michel, der mit einer geführten Wattwanderung durch die Bucht begann. Alle hatten sehr viel Spaß mit dem Schlick, trampolinartigem Treibsand und der Durchquerung eines hüfttiefen Flusses. Der Berg selbst mit seinen kleinen Gässchen und dem stolzen Kloster faszinierte die Schülerinnen und Schüler sehr. Einen weiteren tollen Tag verbrachte die gesamte Schülergruppe dann in einem Actionpark, wo sich alle wahlweise im Warriorpark, beim Wasserski oder Klettern austoben und sich anschließend im Aquapark vergnügen konnten.
Äußerst gelungen war die Fête franco-allemande in der Schulkantine, wo nach einem All-You-Can-Eat-Pizzabüffet mit Discolicht, DJ‘s und Animation durch eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern alle zum Tanzen, zum Mitsingen von deutschen und französischen sowie englischen Liedern und zu Polonaisen angeregt wurden. Die Stimmung war ausgelassen, und es war unschwer zu erkennen, dass der Austausch wieder einmal ein voller Erfolg gewesen war.
Auch wenn natürlich immer ein gewisser Kulturschock vorprogrammiert ist – am Ende haben doch die meisten Schülerinnen und Schüler verstanden, dass Anderssein nicht automatisch Komischsein bedeutet, sondern sie haben Neugier, Interesse, Offenheit, Toleranz und Respekt dem Fremden gegenüber entwickelt. Es gab sogar Schülerinnen und Schüler, die ganz klar geäußert haben, dass sie in ihrem Partner/ihrer Partnerin sowie in anderen Jugendlichen, die sie in der Schule kennengelernt haben, neue Freunde und Freundinnen gefunden haben. Selbst viele der Austauschpaare aus verschiedenen Geschlechtern, die aufgrund der unterschiedlichen Anzahl an Jungen auf den beiden Seiten gebildet werden mussten, haben sich sehr gut verstanden und sich in den Familien wohl gefühlt.
Einige Schülerinnen und Schüler planen bereits weitere Begegnungen mit ihren Austauschpartnerinnen oder -partnern, teilweise sogar mit deren Familien, und eine deutsche Schülerin wird mit ihrer Partnerin im nächsten Schuljahr einen längerfristigen Austausch nach dem so genannten Sauzay-Programm von je zwei Monaten durchführen. Eine ganze Reihe von Schülerinnen und Schülern hat nach dem Austausch berichtet, dass sie nun weniger Hemmungen beim Sprechen im Unterricht und sprachlich richtig profitiert hätten. Wenn das nicht alles für den Austausch spricht…!
Text und Bilder: Sabine Hübner