Wenn Abiturienten gegen Ende des Monats Juni ihre Reifezeugnisse erhalten, ist das noch lange kein Alleinstellungsmerkmal. Auch die Wahl des diesjährigen Mottos "Abikalypse" ist so ungewöhnlich nicht, hat dafür aber den Vorteil, eine Steilvorlage für Festredner und Gottesdienstgestalter darzustellen. Die Abikalypse blieb zum Glück aus, allerdings sorgte ein die gesamte Stadt treffender Stromausfall gewissermaßen als Vorbote eventuell für ein Alleinstellungsmerkmal der St.-Lioba-Abiturienten nicht nur in unserem Bundesland, vielleicht sogar deutschlandweit.
Man hatte sich an der katholischen Privatschule in der Trägerschaft des Mainzer Bistums aufgrund des Doppeljahrgangs für zwei Abiturfeiern in der Schulaula entschieden , deren erste bereits um 14 Uhr begann, wobei der zweite Teil ab 18 Uhr folgte. Am Anfang stand jeweils nach guter Schultradition ein ökumenischer Gottesdienst, gestaltet von dem katholischen Schulseelsorger Pfarrer Michael Tomaszewski und seinem evangelischen Amtsbruder Ernst Widmann sowie jungen Frauen und Männern des Abiturjahrgangs. Vermittelt wurde die Erkenntnis, dass ein "Weltuntergang" auch eine neue Chance darstellt. Auf ganz anderem Weg näherte sich Schulleiter Dr. Tobias Angert diesem Thema, nachdem sich das von Karlheinz Böhm gewohnt sicher geführte Orchester der Aufgabe der feierlichen musikalischen Eröffnung mit neueren Kompositionen ("Robin Hood", "Herr der Ringe", "El Cid") souverän entledigt hatte.
Der Schulleiter verlieh seiner Freude über die 196 Abiturienten des Doppeljahrgangs, die ohne Ausnahme bestanden hatten, mit dem Hinweis auf nahezu die Hälfte der Prüflinge mit einer Eins vor dem Komma und einem Schnitt von 2,1 Ausdruck. Mit Dank an alle Beteiligten an diesem "erfolgreichen und glücklichen Abschluss" fasste er zusammen: "Der Doppeljahrgang hat uns nicht doppelte Arbeit, sondern doppelte Freude gemacht." Es sei eine kluge Entscheidung gewesen, vor dem drohenden Weltuntergang im ehemaligen "Nonnenbunker" Schutz zu suchen, zumal dieser über ein Notstromaggregat verfüge.Er ging bei seiner Festrede von den Thesen der Wiener Psychologin Ulrike Schiesser aus, die in ihrer Schrift "Flirting with Disaster" mit sieben Gründen die massentaugliche Faszination von Untergangsszenarien belegt. Apokalypse werde von ihr als Sinn vermittelndes und jedes Problem lösendes Gegenwartsphänomen gesehen. Gemeinsam falle das Sterben leichter, zudem komme nichts Besseres nach und wenn sich der Endzeitprophet mit einem nur ihm eigenen Wissen interessant mache, könne er aus der Bedeutungslosigkjeit zum Heilsbringer aufsteigen. Schließlich, so Schiesser, bringe der Weltuntergang auch Party und Geschäft, bringe Geld und Quote. Mit dem Kunstgriff, "Sterben" durch "Leben" und "Apokalypse" dutrch "Lioba" zu ersetzen, lautete das Fazit des Schulleiters: "Ich weiß Sie gut auf das Leben und auf alle Weltuntergänge vorbereitet."Er schloss mit den Wünschen für ein erfolgreiches, glückliches und sinnerfülltes Leben.
Für den Doppel- Abiturjahrgang fanden Kim-Marc Leichner und Andreas Widjaja die passenden Worte. Man sei diesem anfangs mit einiger Skepsis gegenübergetreten, habe aber mit Freude festgestellt, wie man sich in jeder Hinsicht einander angenähert und schließlich als einen Jahrgang empfunden habe Dafür gebühre Mitschülern, Eltern und Lehrern Lob und Dank. Annette Wetekam , Vorsitzende des Schulelternbeirats, die mit der Anrede "Ihr Lieben" echte Nähe zum Ausdruck brachte, kam zu einer ähnlichen Einschätzung und würdigte besonders die Arbeit einzelner Eltern. Die Ehrung besonders erfolgreicher oder ehrenamtlich im sozialen oder künstlerischen Bereich tätiger Schülerinnen und Schüler nahmen gemeinsam mit dem Schulleiter Christiane Reuther und Dr. Sabine Wolf, 1. und 2. Vorsitzende des Freundeskreises, vor ,wobei sie auch um neue Mitglieder warben. Die Traumnote 1,0 erreichten Tim Ole Breitenfelder, Ari Geil, Hannah Gruber, Jan Gerrit Marker, Anita Ni und Niels Rolf Warncke. Den Buchpreis des Bischofs Karl Kardinal Lehmann für "sein besonderes Engagement an der Sankt Lioba-Schule in Bad Nauheim" nahm Jan Gerrit Marker gerne dankend entgegen.
Dem Stromausfall zum Trotz sorgten die Lioba Voices, geleitet von Thomas Bailly, mit kraftvollen, afrikanisch geprägten Melodien, das "A-capella-Quintett" ("Wir hatten eine gute Zeit" a la Wise Guys), Lina Wohlgemuth und Vivien Ramshaw mit herrlichem Duett sowie der von Jan Gerrit Marker bestens eingestimmte Abi-Chor u.-a. mit "Time to celebrate" für musikalische Glanzlichter. Und erst der Lehrerchor unter Leitung von Karlheinz Böhm, auf Zimmersuche (nach "My fair lady"), dem ungewöhnlichen Wunsch "Lass mich dein Badewasser schlürfen" und dem Lied von der durch den Wald tollenden Affenbande, natürlich ohne Bezug zu anwesenden Lehr- und Schülerkörper! Prasselnder Applaus. Und schließlich gab es auch noch Abiturzeugnisse.196 an der Zahl. Ohne Strom, aber dafür mit prächtigen Rosen.(has)