„Mittlerweile ein weitgehend spannungsfreies und gut nachbarschaftliches Verhältnis“
Historikerin Prof.Dr.Claudia Kraft referiert vor Oberstufenschülern des St.-Lioba -Gymnasiums über deutsch-polnisches Verhältnis
Kurz vor dem Abschluss ihrer Abiturprüfungen hatten die Schülerinnen und Schüler der beiden Geschichtsleistungskurse der St. Lioba Schule in Bad Nauheim die besondere Gelegenheit einem Vortrag einer renommierten Osteuropahistorikerin beizuwohnen: Prof. Claudia Kraft, Inhaberin des Lehrstuhls für Europäische Geschichte mit dem Schwerpunkt Osteuropa an der Universität Siegen, war anlässlich eines Besuches in Bad Nauheim an das Gymnasium in Trägerschaft des Bistums Mainz gekommen.
Hans Peter Wavra, Leiter eines der beiden Leistungskurse, der die Osteuropaspezialistin an die Schule eingeladen hatte, hieß Frau Prof. Kraft im Namen von Schulleiter Dr.Tobias Angert herzlich willkommen und kündigte den Schülern den Vortrag mit dem Thema: „Nach der Katastrophe. Schritte der deutsch-polnischen Annäherung nach dem 2.Weltkrieg“, an.
In einer kurzen thematischen Einführung konstatierte Wavra, dass der Zweite Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit zwar den absoluten Tiefpunkt im deutsch-polnischen Verhältnis darstellten, allerdings die letzten 240 Jahre deutsch-polnischer Geschichte meist von Phasen schlechter Beziehungen gekennzeichnet gewesen seien: Beginnend mit den sog. Polnischen Teilungen, deren Ergebnis die Auflösung der Staatlichkeit des östlichen Nachbarlandes gewesen sei, erwähnte er den Versailler Vertrag, den Überfall Hitlers auf Polen 1939 und die sich daran anschließende brutale Besatzungspolitik der Deutschen sowie die ungerechtfertigte Vertreibung von vielen Millionen Deutschen aus ihrer angestammten Heimat in Ostdeutschland. Erst allmählich habe sich nach dem 2.Weltkrieg das Verhältnis gebessert, hier nannte Wavra vor allem die Bedeutung der Ostpolitik der Regierungen Brandt, Schmidt und Kohl und das Ende des Kommunismus nach 1989!
Frau Prof. Kraft stellte vor allem zivilgesellschaftliche Bemühungen und Kontakte unterhalb der Regierungsebene in den Mittelpunkt ihres Vortrages: So habe es von Anfang an nach 1945 in Polen Menschen gegeben, die trotz der Gräuel der deutschen Besatzer eine deutsche Kollektivschuld abgelehnt und die Vertreibung der Deutschen als ungerecht empfunden hätten. Hier nannte die Historikerin v.a. die bereits unter dem damaligen KP - Chef Gomulka existierende katholische parlamentarische Vereinigung ZNAK, die schon zu einer Zeit, als noch niemand, zumal im Ostblock, daran dachte, eine deutsche Wiedervereinigung als Grundpfeiler für eine zukünftige europäische Friedensordnung gefordert habe. In einer Zeit von politischer Konfrontation und Argwohn habe man sich besonders vonseiten der beiden großen Kirchen (Tübinger Memorandum 1962; Memorandum der deutschen Katholiken 1968) um Verzeihung des gegenseitig angetanen Leides und Versöhnung bemüht. Die zivilgesellschaftlichen Kontakte hätten einen fruchtbaren Boden für die Politik des „Wandels durch Annäherung“ auf staatlicher Ebene seit Ende der sechziger Jahre bereitet. Diese Kontakte, z.B. Jugendaustausche, private und institutionalisierte Reisen hätten sich in der sog. 2.Eiszeit in den Ost-West-Beziehungen in den 80er Jahren sogar noch verstärkt, sodass man nach dem Ende des Ostblocks die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen mittlerweile beinahe uneingeschränkt als gut nachbarlich bezeichnen könne.
Die Schüler erhielten mittels eines kurzweiligen Vortrages eine Fülle von interessanten Informationen, die nicht in Geschichtsbüchern stehen. Entsprechend rege beteiligten sie sich denn auch an einem sich anschließenden Meinungsaustausch. Die Osteuropahistorikerin – übrigens eine ehemalige Schülerin der Lioba - stellte den Kursleitern Hans Peter Wavra und Gudrun Friedrich in Aussicht, gerne wieder zu kommen, und machte den Schülern und Schülerinnen mit der Aussage, sie wäre glücklich, wenn alle Seminarteilnehmer an der Universität so viel Interesse, Engagement und Wissen zeigten wie sie, ein großes Kompliment.