Gut besuchter öffentlicher Vortrag an der St.-Lioba-Schule
Einer Zeitzeugin zuzuhören, die von Konrad Adenauer bis Willy Brandt durch ihren Beruf als (Top-)Journalistin die bedeutendsten Politiker der Bonner Republik aus nächster Nähe und auf Augenhöhe kennenlernte, wird bald nicht mehr möglich sein. Das hob auch Geschichtslehrer Hans Peter Wavra am Montagabend im Musiksaal der St.-Lioba-Schule hervor, als er Heli Ihlenfeld und zahlreiche Gäste des öffentlichen Vortrags herzlich begrüßte.
Wavra würdigte zunächst an den am 31. Januar verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten , der 1984 als höchster Repräsentant der Bonner Republik gewählt worden und vier Jahre nach der Wiedervereinigung als Repräsentant der neuen Berliner Republik aus diesem Amt ausgeschieden sei. Die 1949 gegründerte Bundesrepublik Deutschland werde heute gerne in die zwei Phasen Bonner bzw. Berliner Republik unterteilt. In diesen 25 Jahren sei Deutschland nicht nur territorial größer geworden, sondern habe auch immens an Einfluss gewonnen. Wavra machte dies u.a. an der Vermittlerrolle Merkels gemeinsam mit Frankreichs Staatspräsident Hollande im Ukraine-Konflikt deutlich, von gleich zu gleich mit dem russischen Staatsoberhaupt. Er erwähnte auch China, für das Deutschland Hauptansprechpartner in der westlichen Welt geworden sei.
Wavra erinnerte daran, dass das Fundament unserer als weltoffen geltenden Demokratie in Bonn gelegt worden sei und die damaligen Gestalter der Bonner Republik mittlerweile hochbetagt seien und nicht mehr viel Zeit zum Gespräch bleibe. Ihlefeld, in den 60er-Jahren Bonner Korrespondentin der "Münchner Abendzeitung" und Reporterin des "Stern", habe zahlreiche Bücher verfasst. Sie habe für eine Lesung aus ihren Büchern den weiten Weg von Berlin auf sich genommen, um in Lesung und Gespräch mit dem Auditorium an die Zeit der Bonner Republik und ihre Spitzenpolitiker zu erinnern. Persönlich gekannt und interviewt habe sie u.a. die Bundeskanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt und Helmut Schmidt und die Bundespräsidenten Gustav Heinemann, Walter Scheel und Richard von Weizsäcker. Zeit ihres Lebens habe sie sich auch für die Emanzipation der Frau eingesetzt, was damals noch sehr schwierig gewesen sei. Von 1972 bis 1976 sei, so Wavra abschließend, Ihlefeld persönliche Mitarbeiterin der ersten Frau im Amt des Bundestagspräsidentin Annemarie Renger gewesen .Dies sei für Ihlefeld eine besonders geschätzte Arbeit gewesen.
Ihlefeld stellte klar, dass von ihr keine Geschichte der Bonner Republik zu erwarten sei, sie werde sich eher an Erinnerungen und Geschichten halten, die bei prominenten Zeitgenossen gerne Anekdoten genannt werden. Sie werde insbesondere aus ihren Büchern , der Autobiographie "Auf Augenhöhe" und der Sammlung von Brandt-Anekdoten "Auch darüber wird Gras wachsen", lesen, aber keine Wertung oder Deutung abgeben. Sie habe den Eindruck, dass "die Bonner Republik der tiefsten Geschichte angehöre", sie mache den Versuch, in eine Vergangenheit zurückzuführen, "von der keiner mehr etwas wissen will."
Dabei stellte die charmante alte Dame klar, dass in dieser Stadt unser Staat und sein Grundgesetz entstanden sei. Sie verstand es hervorragend, ihren eigenen journalistischen Werdegang, beginnend mit der Arbeit in einer von ihrem Vater gegründeten Agentur, mit der Politik in Beziehung zu setzen. Dabei zeigte sie eine Vorliebe für das Anekdotische. Etwa wenn sie einen amerikanischen Journalistenkollegen zitierte, der über Bonn urteilte "halb so groß wie der Friedhof von Chikago, aber doppelt so tot" .Sie unterstrich, dass mit Elisabeth Selbert auch eine Frau zu den "Vätern des Grundgesetzes" gehörte, und erwähnte, dass für den Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz verfasste, kein passendes Gebäude in Bonn zur Verfügung stand. So tagte man denn zwischen Dinosaurierskeletten und Vogelpräparaten im Museum Alexander Koenig.
Anhand weiterer Anekdoten zeigte Ihlefeld auf, dass Bonn ein Provisorium war und auch bleiben sollte .Der Bundestag habe in einer ehemaligen Pädagogischen Akademie getagt, und dem Bundesadler habe man bewusst ein ganz anderes Aussehen gegeben als in der Vergangenheit, so dass er spöttisch als "Bundesgans" bezeichnet worden sei. Ausgehend vom Umzug ihrer damaligen Redaktion in Bonn 1959 "in ein skurriles altes Haus ging Ihlefeld auch auf die heute kaum noch vorstellbaren Rahmenbedingungen der journalistischen Arbeit ohne Handy und Laptop ein .Als politischer Journalistin sei ihr "der Mensch, der Politik machte" wichtiger gewesen als die Politik selbst. Neben den deutlich in der Überzahl befindlichen Männern porträtierte sie auch Frauen wie Elisabeth Schwarzhaupt, erste Ministerin in einem Bundeskabinett, oder die später zu großer Bedeutung gelangte Rita Süßmuth.
Intensiver ging sie auf die Vorgeschichte ihres Adenauer-Interviews ein, das sie der Vermittlung von Rainer Barzel verdankte. Sie habe den mit seinen Memoiren beschäftigten ersten Bundeskanzler in einem Zustand angetroffen, der von innerer Unruhe geprägt gewesen sei. Er habe sich gefragt, ob er wohl alles richtig gemacht habe und als größten Wunsch geäuÃert, dass der Frühling endlich komme. Sie habe am Karfreitag das letzte Interview mit ihm geführt, am Ostersonntag habe er sich ins Krankenbett gelegt, von dem er sich nicht mehr erhoben habe. Willy Brandt sei von Anfang an von seinen politischen Gegnern ernst genommen worden, habe aber vor seiner Kanzlerschaft einen unter die Gürtellinie gehenden Wahlkampf mitmachen müssen. Von Anfang an seien sich sie und er sympathisch gewesen. Sie habe seinen besonderen Humor geschätzt , der ihm auch geholfen habe, sich zu entspannen. Als "Pressefrau" habe sie einige Auslandsreisen mitgemacht, wobei sie die kuriose Situation erlebt habe, dass bei einem Besuch bei Tito in Jugoslawien nur ein Telefon für zahlreiche Journalisten zur Verfügung stand und der damalige Außenminister Brandt auf die schreibende Zunft warten musste. Brandt habe ihr für ihre Anekdotensammlung 40 private Anekdoten übergeben, nachzulesen in ihren an diesem Abend auch zum Verkauf angebotenen Büchern.
Allen Besuchern war klar, dass Ihlefeld den sehr gelungenen Abend, der ihr und dem Publikum sichtlich Freude machte, noch fast beliebig hätte verlängern können. Gerne beantwortete sie auch Fragen aus dem Auditorium , das ihr begeisterten Beifall zollte. Ralf Ludwig überreichte als Vertreter der Schulleitung eine Flasche Kardinalswein an diese ganz besondere Zeitzeugin. Er dankte auch Hans Peter Wavra für die Organisation. Der wiederum gab den Dank weiter an die technischen Mitarbeiter , den Förderverein und die Damen Dagmar Geng, Christine Pyper, Madeleine Rohe, Dr. Brigitte Wavra und Julia Pfeffer für ihren Beitrag zum Gelingen des Abends.
Hans-Wolfgang Steffek