Gerhard Trabert referiert vor Schülerinnen und Schülern der Sankt Lioba Schule
Was veranlasst uns zu sozialem Engagement? Für wen ist das wichtig? Warum geht es nicht ohne? Über solche Fragen referierte am vergangenen Montag der Sozialpädagoge und Mediziner Dr. Gerhard Trabert. Als Antwort gab er vielerlei Einblicke in seine persönlichen Erfahrungen, beispielsweise mit dem von ihm gegründeten Mainzer Modell „Ambulanz ohne Grenzen“, als europäischer Experte für Armut und Gesundheit in der Nationalen Armutskonferenz oder als ehrenamtlicher Arzt bei der Rettung Geflüchteter im Mittelmeer.
Schulpfarrerin Christin Neugeborn hatte den unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Experten eingeladen, um den Schülerinnen und Schülern der Einführungsphase in die Oberstufe plastisch zu zeigen, warum die Sankt Lioba Schule seit vielen Jahren ein verpflichtendes Sozialpraktikum durchführt und wie ein solcher Einsatz den Blick auf das Leben verändern kann. „Soziales Engagement hier und jetzt, in eurem Alter, in eurem Sozialpraktikum, das begreife ich als Einüben“, führte Neugeborn bei der Einstimmung auf den Vortrag Traberts aus. „Einüben in Empathie, in Weitung des eigenen Horizontes, Einblick in andere Lebensverhältnisse, in Perspektivenwechsel.“
Trabert schlug in seinem Vortrag einen großen Bogen von der Flüchtlingsproblematik für Juden im Zweiten Weltkrieg über die Definition von Armut als schlimmster Form von Gewalt bei Mahatma Ghandi bis zur aktuellen Diskussion über die Kürzung des Bürgergelds im deutschen Wahlkampf 2024. Dabei machte der Mediziner auch auf die Bedeutung der Sprache aufmerksam, wenn es um die Benennung sozialer Fakten geht: Familien sind nicht gewollt „bildungsfern“, sondern die Bildung ist zu fern von diesen Menschen; Menschen sind nicht „illegal“, sondern nicht im Besitz vollständiger Papiere; arme Menschen sind nicht „sozial schwach“, sondern allenfalls „sozial benachteiligt“.
Ausführlich ging Trabert auf die Herausforderungen in der Notfallambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung ein. Rund 500.000 Menschen sind in Deutschland nicht krankenversichert – aus unterschiedlichsten Gründen. Dazu zählen beispielsweise vorher freiwillig versicherte Unternehmer, die in Insolvenz geraten sind, osteuropäische Arbeitssuchende, wohnungslose Menschen. Ein Großteil, der in diesem Bereich arbeitenden Arzthelfer, Krankenpfleger, Allgemeinmediziner oder Psychiater macht das ehrenamtlich. Trabert charakterisierte dies als „Auffangnetz für ein soziales System, das nicht funktioniert“.
Besonders intensiv schilderte Trabert mit Einsatz eines Films das Schicksal der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer. Erst vor sechs Wochen war er selbst das letzte Mal in Süditalien, um als Notfallhelfer verletzten Flüchtlingen beizustehen. Eine Filmszene auf einem Seenotrettungsboot im Sonnenuntergang empfanden viele Liobaner besonders anrührend: „Wir alle sehen die Sonne wie sie untergeht, und wir wissen, dass sie wieder aufgehen wird – vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung, dass sich etwas ändert.“
Zum Schluss seiner Ausführungen wurde Trabert mit Blick auf den christlichen Hintergrund der Sankt Lioba Schule noch einmal sehr deutlich: Das Bekenntnis, Christ zu sein, motiviere ihn zu seinen Taten und gebe ihm die Gewissheit, alle Menschen als gleichwürdig zu betrachten und zu behandeln. Seine Mission an diesem Tag lautete „Sensibilisieren, nicht Moralisieren.“