Auf jedem Bildschirm ein anderes Schicksal: Die Klasse 10d bei ihrer Arbeit für die Arolsen Archives.
10. Klassen beteiligen sich an der Aktion der Arolsen Archives zum Holocaust-Gedenktag
Anlässlich des Holocaust-Gedenktages fand vom 23. bis 29. Januar unter #everynamecounts eine Online-Aktion der Arolsen Archives statt. Ziel war es, an diesen Tagen durch engagierte Freiwillige 30.000 Personalkarten ehemaliger Häftlinge des östlich von Danzig gelegenen KZ Stutthof zu erfassen. Dieses Ziel war schon am 27. Januar erreicht, so dass die Aktion um die Erfassung von Häftlingspersonalkarten des KZ Mauthausen in der Nähe der österreichischen Stadt Linz erweitert werden konnte.
Die Klasse 10d, die sich gerade im Deutschunterricht mit der Lektüre von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ beschäftigt, nahm in drei Stunden an der Aktion teil, um auf diese Weise die Erinnerung an die Opfer aufrechtzuerhalten. So konnten die Schülerinnen und Schüler mit über 1000 erfassten Häftlingspersonalkarten ihren Beitrag zu diesem digitalen Denkmal für NS-Verfolgte leisten. Am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, beteiligten sich auch die 10a und die 10b im Rahmen ihres Deutsch-, Geschichts- und Religionsunterrichts an dieser Aktion, wobei diese Klassen noch einmal über 1300 Häftlingspersonalkarten erfassen konnten. Einige Schülerinnen und Schüler nutzten zudem die Zugangsdaten, um auch in ihrer Freizeit weitere Karten zu bearbeiten. Dies ist auch über den Aktionszeitraum hinaus noch möglich.
Zunächst erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler am Beispiel einer Häftlingspersonalkarte aus dem KZ Buchenwald die Besonderheiten dieser Erfassung. So wurde ihnen bewusst, welchen bürokratischen Aufwand die Nazis auf diese Weise betrieben. Sie erfuhren, dass auch Häftlinge in Schreibstuben zur Datenerfassung eingesetzt wurden und erkannten, dass es sich bei vielen verwendeten Wörtern um Begrifflichkeiten der Nazis, also um Tätersprache, handelt. Dann durften sie selbst die Daten digitalisieren. In dieser Aktion wurden zunächst nur die grundlegenden Daten wie Name, Vorname, Ge-burtsdatum, Religionszugehörigkeit, Häftlingsnummer und Haftkategorie erfasst, damit in diesem ersten Schritt die Opfer wieder einen Namen bekommen und zukünftig über die Suchfunktion der Arolsen Archives auffindbar sein werden.
Dennoch war für die Bearbeitenden immer die komplette Akte einsehbar, sodass die Schülerinnen und Schüler sich ein umfassendes Bild von der Person, deren Daten sie gerade erfassten, machen konnten. Hier gab es durchaus einige Aha-Momente, z. B. in der Erkenntnis, wie leicht man doch verhaftet werden konnte. So wurden als Haftgrund etwa Arbeitsvertragsbruch, Arbeitsstelle verlassen, Schleichhandel oder auch „fragwürdige politische Einstellung“ angegeben. Bei jüdischen Häftlingen wurde gar kein Haftgrund erfasst, besonders irritierend war zudem die Angabe „Geisel für Familienangehörige“.
Erstaunlich war für die Schülerinnen und Schüler, dass es tatsächlich auch Überlebende gab. Über deren weiteren Verbleib konnten sie sich – soweit dieser bekannt und schon digital erfasst ist – über die Datenbank der Arolsen Archives informieren. Der jüngste Häftling, dessen Akte zu erfassen war, war ein 7-jähriges Kind. Für die Klasse war es auch sehr emotional, als plötzlich zwei nebeneinandersitzende Schüler die Akten von Mutter und Tochter bearbeiteten. Unter dem Feld „Wohnort der Angehörigen“ fanden sich zudem häufig die Angaben weiterer Konzentrationslager oder man erkannte, dass mehrere Familienmitglieder im Lager Stutthof inhaftiert waren.
Die vielen in Stutthof verstorbenen Häftlinge, die am selben Tag noch eingeäschert wurden, waren für die Schülerinnen und Schüler schwer zu verkraften. Ihnen stach besonders der Kontrast zu Angaben wie „körperliche Verfassung gut“, Aufnahmedaten in das KZ kurz vor dem Eintritt des Todes und Todesdaten im Winter ins Auge. Auch die ergänzenden Informationen, dass es im Januar 1945 einen Todesmarsch gab und im April 1945 zur letzten Räumung kam, erschütterten die Schülerinnen und Schüler und warfen noch einmal ein tragisches Licht auf einige Akten. In diesem Zusammenhang erfuhren sie, dass Stutthof auch ein Außenlager in Pölitz hatte, da dies auf einigen Akten vermerkt wurde und dass einige Inhaftierte mehrere Konzentrationslager durchliefen.
Da die Erfassung der Akten nicht einheitlich erfolgte, einige waren getippt, andere per Hand ausgefüllt, viele Abkürzungen wurden unterschiedlich erfasst, fiel es den Schülerinnen und Schülern teilweise schwer, diese zu entziffern. Dabei stolperten sie auch über die Zahlencodes, die verwendet wurden, um gewisse Dinge wie Strafen oder auch Charaktereigenschaften der Häftlinge zu erfassen. Hier wurde das von Arolsen be-reitgestellte Glossar rege genutzt, aber auch über Google ließen sich einige Geburtsorte in Erfahrung bringen. Um so gut wie möglich Fehler bei der Erfassung zu vermeiden, erfolgt diese im Sechs-Augen-Prinzip: Jede Häftlingspersonalkarte wird von drei Personen erfasst. Nur wenn alle Eingaben übereinstimmen, werden diese Daten dann weltweit abrufbar sein und auf diese Weise auch heute noch Nachfahren von Opfern die Möglichkeit geben, sich über das Schicksal ihrer Verwandten zu informieren. Damit sind die Schülerinnen und Schüler der Sankt Lioba Schule nun Teil eines weltweiten Projekts, das es sich zum Ziel gesetzt hat, ein Zeichen für Respekt, Vielfalt und Demokratie zu setzen.
Hinweis: Über die Homepage der Arolsen Archives (https://arolsen-archives.org/) sind noch weitere Informationen abrufbar, dort werden auch andere digitale Projekte wie die Mitarbeit am Central Location Index angeboten. In den sozialen Medien wurde unter #everynamecounts, aber auch dem Hashtag für den Holocaust-Gedenktag #weremember über die Aktion berichtet.