Authentische Informationen aus der DDR: Siegfried Wittenburg vor den Zehntklässlern der Sankt Lioba Schule.
Zeitzeuge und Fotografiker Siegfried Wittenburg kontrastiert Propaganda und Realität im Sozialismus
Der Fotografiker und Autor Siegfried Wittenburg faszinierte mit einem Vortrag Schüler und Schülerinnen der Sankt Lioba Schule durch eindrucksvolle Fotos und seine lebhaften Erzählungen aus dem Leben in der ehemaligen DDR. Nach einer zweijährigen Corona-Pause gab es jetzt endlich wieder einmal die Möglichkeit, einen Zeitzeugen der deutschen Geschichte einzuladen. Für Wittenburg war es bereits der dritte Besuch an dem Bad Nauheimer Gymnasium. In seinem interessanten Vortrag thematisierte Wittenburg die Macht von Propaganda im totalitären System der DDR. Dabei ging er auch allgemein auf die Rolle der Propaganda in der Geschichte ein und versäumte es nicht, auf aktuelle Bezüge zu den Social Media hinzuweisen.
Wittenburg, der aus einem systemkritischen protestantischen Elternhaus stammt, ist in Warnemünde geboren und aufgewachsen. In Rostock machte er zunächst eine Ausbil-dung als Funkmechaniker und arbeitete dann im VEB Schiffselektronik, später als Techniker in der kardiologischen Abteilung des Uniklinikums. Mit 15 Jahren entdeckte er das Fotografieren als seine Passion, das er autodidaktisch vervollkommnete und das bald künstlerische Formen annahm. Die SED-Führung unterstützte das künstlerische Schaffen der Werktätigen mit kulturellen an den Arbeitsplatz gebundenen Einrichtungen, wie zum Beispiel einem Betriebsfotozirkel, in dem Wittenburg Mitglied war. Dabei galt es, die Errungen-schaften des Sozialismus zu dokumentieren, was Wittenburg auch tat, indem er mit seiner Kamera die Realität des „Arbeiter- und Bauernstaates“ ablichtete. Die aufgenommenen Fotos sprechen für sich. Ein verrostetes Schild mit der Aufschrift „Hier arbeitet ein hervorragendes Bahnwärterkollektiv“ an einem verfallenen Holzverschlag oder die über einer langen Warteschlange vor einem Lebensmittelgeschäft prangende Losung, dass der Sieg des Sozialismus unausweichlich sei, zeigen die Diskrepanz zwischen Anspruch und bitterer Realität im „real existierenden Sozialismus“.
Einen weiteren Schwerpunkt seines Vortrags bildete die Zeit des Zusammenbruchs des kommunistischen Regimes 1989. Anfang 1990 ergab sich für Wittenburg die Möglichkeit, in der Rostocker Stasi-Zentrale zu fotografieren. Ein besonders eindrucksvolles Foto zeigt hier einen großen Raum, der mit leeren zusammengebundenen Aktendeckeln vollgestopft ist. Es sind die bürokratischen Hüllen, die von einer überhasteten Vernichtungsaktion von Stasi-Unterlagen zeugen, bevor das Gebäude von der Bevölkerung gestürmt wurde. Skurrilerweise führte offenkundig ein ehemaliger verdeckter Stasi-Mitarbeiter Wittenburg durch das Gebäude.
Wittenburg, der seit 2014 regelmäßig vor Schulklassen Vorträge hält, die von der hessischen Landeszentrale für politische Bildung finanziell unterstützt werden, möchte den jungen Menschen einerseits die erlebte Vergangenheit nahebringen, damit sie nicht in Vergessenheit gerät, aber auch zugleich ihren Blick auf die Gegenwart schärfen und ihnen für die Zukunft Mut machen. In der sich anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Jugendlichen seine Botschaft, Demokratie und Freiheit als ein kostbares, nicht selbstverständliches Gut zu betrachten und sich bei ihrer Lebensgestaltung für dieses einzusetzen, verstanden haben.
Text: Dr. Brigitte Wavra