Professorin Claudia Kraft sprach zum Abiturjahrgang an der Sankt Lioba Schule
„Populismus gibt es sowohl von Linken als auch von Rechten. Aber immer wieder ist eine gemeinsame Haltung erkennbar. In einer sich ständig verändernden Welt mit bisher so noch nicht bekannten Problemen geben die Populisten vor, einfache Lösungen für schwierige Fragen zu haben.“ Das machte Prof. Dr. Claudia Kraft zu Beginn ihres Vortrags im Musiksaal der Sankt Lioba Schule klar. Vor den Schülerinnen und Schülern des Abiturjahrgangs gab die gefragte Historikern, die nach ihrem Ruf an die Universität in Erfurt derzeit in Siegen und Wien lehrt, bereits ihr viertes Gastspiel an der Schule, die sie aus ihrer eigenen Schulzeit kennt.
Herzlich begrüßt wurde sie von Schulleiter Bernhard Marohn und dem Geschichtslehrer Hans Peter Wavra, der sich um die Organisation gekümmert hatte und daran erinnerte, dass zum Zeitpunkt der Terminabsprache im letzten Herbst niemand daran dachte, dass mit dem derzeitigen US-Präsidenten ein Populist ohne politische Erfahrung dieses weltpolitisch bedeutende Amt bekleiden würde. Historisch gesehen sei im antiken Rom „Politik für das Volk“ keineswegs negativ gesehen worden; bis zu unserer Gegenwart sei der Begriff aber immer stärker priorisiert worden. An dieser Nahtstelle zwischen Politik und Geschichte sei Prof. Kraft genau die Kapazität, die es brauche, um den Begriff und seine Geschichte zuklären und Fragen zu beantworten, die sich längst nicht nur auf Osteuropa beschränken ließen.
Wavras Erwartung, von der gebürtigen Bad Nauheimerin einen „interessanten, spannenden und informativen Vortrag“ zu hören, erfüllte die Referentin in jeder Hinsicht. Sie stellte eingangs klar, dass es im Populismus extreme Vereinfachungen gebe. Für die Populisten sei eine Weltsicht typisch, die von zwei miteinander nicht vereinbaren Lagern ausgehe. Für die herrschenden Probleme, die ausgesprochen diffizil und in mancher Hinsicht völlig neu seien, wie etwa die Globalisierung, hielten Populisten Antworten bereit, die bei ihren Anhängern den Eindruck erweckten, dass sie einfach gelöst werden könnten. Die Bevölkerung werde als „gesunder Volkskörper“ gesehen, die nicht gelösten Probleme als Ergebnisse der Politik einer Elite. Eliten aber seien korrupt und nur an ihrem eigenen Wohl interessiert. Begünstigt werde der Erfolg von Populisten durch eine starke Aufwertung der eigenen Position als angeblicher Vertretung des Volkswillens. Dem entspreche die starke Abwertung der Gegenposition. Schon der Ansatz, das Volk als homogene Gruppe zu betrachten, sei irrig. Gerade in den westlichen Staaten sei die Bevölkerung ausgesprochen heterogen. Dies werde nicht zuletzt durch Globalisierung und Migration verstärkt.
Falsch sei es gewesen, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Osten von einem weitgehend problemlosen Übergang in die Demokratie auszugehen. Sogar vom „Ende der Geschichte“ sei die Rede gewesen. Die Menschen in Osteuropa wären von den bisherigen Regierungen gewohnt gewesen, dass diese ebenfalls in zwei Lagern ihr Welt-bild verankerten. Fehlende soziale Absicherung hätte für große Teile der Bevölkerung einen Sturz ins Bodenlose bedeutet. Daher seien Osteuropäer für populistische Propaganda noch anfälliger als die Menschen in den westlichen Demokratien.
Auf diese Entwicklung, etwa in Frankreich, Griechenland oder auch auf Großbritanniens Brexit eingehend, machte die Historikerin deutlich, dass meist die populistischen Vorstellungen mit nationalen, rückwärtsgewandten Zielen einhergingen. Aufgrund seiner historischen Erfahrungen aus der Weimarer Republik und mit dem Nationalsozialismus habe Deutschland in sein Grundgesetz Sicherungsmechanismen eingebaut, die auch vom Volk nicht geändert werden könnten. Dazu zählten die Achtung der Menschenwürde, Pressefreiheit, Gewaltenteilung und mehr. Etwas, was derzeit in der Türkei zu beobachten sei, gehe in einer Demokratie gar nicht.
Auf die EU eingehend stellte Prof. Kraft fest, dass viele in Ost und West das Gefühl hätten, dass die EU nicht ihre Interessen vertrete. Das könne durchaus eine Gefahr für die Demokratie sein. Mit Freude konnte die Referentin Fragen der interessierten Zuhörer beantworten, die sie dazu aufforderte, die Demokratie zu verteidigen. Die EU könne sicher den Einzelnen durchaus in der stärkeren Berücksichtigung seiner Region besser erreichen. Auch eine Stärkung des europäischen Parlaments könne der Entfremdung entgegenwirken.
Zu Recht konnten Wavra und Oberstufenleiter Winfried Auel diese Doppelstunde als einen letzten Höhepunkt vor dem Abitur für den Jahrgang werten. Prof. Kraft verzichtete in ihrer „alten Schule“ auf ein Honorar, freute sich aber über ein von Auel im Namen der Schule überreichtes Präsent.
Text und Foto: Dr. Hans-Wolfgang Steffek