Privatführung für Schülergruppe der Sankt Lioba Schule
„Die bis in die Gegenwart vertretene Auffassung, die Wetterau liege abseits des historischen Geschehens, wird bereits mit der Führung durch das Ortenberger Schloss widerlegt. Ganz abgesehen von der Keltenwelt auf dem nahen Glauberg und dem nahen Limes, hat es unser Führer durch das Schloss, Michael Schroeder, eindrucksvoll verstanden, allein in diesen Räumen auf die unterschiedlichsten geschichtlichen Epochen und Kunststile aufmerksam zu machen. Ein besonderer Dank geht an Caroline und Alexander von Stolberg-Roßla für die herzliche Einladung und erwiesene Gastfreundschaft.“ Mit diesen Worten fasste Latein- und Geschichtslehrer Hans Peter Wavra den Auftakt seines Projektes „Wandern und Besichtigen auf dem Bonifatiusweg“ zusammen, ganz sicher auch im Sinne der ihn begleitenden Jugendlichen.
Die hatten nach Bus und Bahn die letzte Strecke und den steilen Anstieg zur 133m hoch auf einem Basaltkegel über der Nidder gelegenen Schlossanlage bewältigt, wo der Führer auf sie wartete. Wenig später schlossen sich auch die Besitzer des Schlosses an. Hatte schon bei einem kurzen Abriss der Baugeschichte, die mit einer Burg um 1180 begann und seit 1245 immer wieder Erbteilungen und Besitzerwechsel erlebte, der Gedanke an mittelalterliche Burgenromantik erst gar nicht aufkommen können, galt es auch schnell, von der Vorstellung eines mondänen Luxuslebens Abschied zu nehmen. Durch ihr Schloss dürfen sich zwar angemeldete Besuchergruppen führen lassen, aber die privaten Räume bleiben dem Fürstenpaar, den drei Töchtern und dem Sohn vor-behalten.
Fürst Alexander verdeutlichte den Gästen, dass die Erhaltung des Schlosses eine Langzeitaufgabe darstellt, deren Ende noch nicht absehbar ist. Der gelernte Forstwissenschaftler, der auch selbst Waidmann ist, verweist auf die immensen Kosten, die die Komplettrestaurierung verschlingt, wobei er dem Land Hessen, dem Denkmalschutz und dem Burgenverein sowie der Stadt ausgesprochen dankbar ist: „Ich fühle mich gegenüber dem Erbe meiner Familie in der Verantwortung, will aber auch der Nachhaltigkeit Rechnung tragen. Der hohe Anteil der Eigenfinanzierung wird zum großen Teil aus dem Ertrag der Forstwirtschaft bestritten.“
Der Zusammenhang mit der „großen Geschichte“ wird bei der Besichtigung an vielen Details oder Exponaten deutlich. Natürlich wird die lange vor dem ersten Burgenbau die Wetterau prägende Zeit der Kelten und der römischen Zivilisation ebenso thematisiert wie die Geschichte der Staufer und Welfen bis hin zu den Plünderungen und Brandschatzungen im 30-jährigen Krieg. Die Bilder der Ahnen, oft die Männer mit grauem Rock gewandet, bietet auch Gelegenheit, auf modische Erscheinungen hinzuweisen oder auf die Bedeutung der Jagd einzugehen. Renaissance, Neuhumanismus, Klassik, Klassizismus und Empire bieten für Michael Schroeder Gelegenheit, selbst an die Antike anzuknüpfen. Erstaunt zeigt er sich über die Vorkenntnisse der jugendlichen Besucher, etwa, als im großen Saal von den olympischen Göttern die Rede ist, deren Bilder die Stuhllehnen zieren. Hier gab es am festlich gedeckten Tisch frische Erdbeeren und Eis, das Fürstin Caroline den Besuchern überreichte, so dass nicht nur für geistige Nahrung bestens gesorgt war. Immerhin hatte auch Zar Nikolaus II. mit seiner Gemahlin die Gastfreundschaft des Hauses erlebt.
Eine kleine Flintensammlung verdeutlichte die Umständlichkeit eines Vorderladers ebenso wie die Kinderkleidung um 1900 die wechselnde Mode, bei der auch die kleinen Jungen Mädchenkleider trugen. Ein Glanzlicht natürlich die bei der Restaurierung zum Vorschein gekommenen Deckengemälde aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, wie überhaupt das „Rauchzimmer“ neben dem großen Saal zu den eindrucksvollsten Vorzeigeobjekten gehört. Zu Goethes Begleitern auf der legendären Italienreise gehörte, wie zu erfahren war, auch ein Angehöriger der Stolbergfamilie. So ging es im Gespräch von dem Basaltkegel am Rand der Wetterau bis zum Vulkanausbruch in Pompeji und die Aufzeichnungen von Vater und Sohn Plinius. Näheres für die wissensdurstigen Lateinschüler sollte es dann beim Besuch des Glaubergs an einem weiteren Projekttag geben.
Nach Beendigung des Besuchs machte die Begegnung mit der aus der Grundschule zurückkehrenden jüngsten Tochter deutlich, dass in den teilweise gar nicht so alten Mauern des Schlosses eine moderne Familie lebt, die zwar ihrer Tradition verpflichtet ist, aber in der Gegenwart lebt und an die Zukunft denkt. Dazu gehört auch der Besuch zweier Töchter an der Sankt Lioba Schule in Bad Nauheim, wo schon die Kelten Salz gewannen und Elvis und Sissi zur Geschichte gehören. Aber das ist dann schon wieder eine andere Art Geschichte...
Text und Foto: Dr. Hans-Wolfgang Steffek