Bernhard Vogel begeisterte mit Humor und Geist - Werbung für das Fach Geschichte
Nur wenige Abiturienten in unserem Land werden ihre letzte Geschichtsstunde so positiv im Gedächtnis behalten wie der komplette Jahrgang der St.-Lioba-Schule. Sie hatten kürzlich nämlich einen ehemaligen Politiker, der auch jetzt noch in Deutschland und der Welt gefragt und beliebt ist, zu Besuch: Dr. Bernhard Vogel. Wie Hans-Peter Wavra, der einmal mehr nach vielen anderen auch diesen Zeitzeugenbesuch organisiert hatte, betonte, ist Dr. Bernhard Vogel der einzige Politiker, der gleich in zwei Bundesländern Ministerpräsident war.
Dass er dieses hohe Amt sowohl im Westen (Rheinland-Pfalz) als auch im Osten (Thüringen) innehatte und zudem zweimal als Bundesratsvorsitzender Stellvertreter des Bundespräsidenten war, mache ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der deutschen Politik und Zeitzeugen von höchster Kompetenz.
Wavra gab einen kurzen Überblick über Vogels Leben. Bernhard Vogel wurde als Sohn eines Professors am 19.12. 1932 in Göttingen geboren, ging bis 1949 in Gießen zur Schule und machte sein Abitur in München. Dem Studium in München und Heidelberg von Geschichte, Soziologie, Politik und Volkswirtschaft folgte mit dem Eintritt in die CDU 1960 bereits die Wahl zum Stadtrat in Heidelberg 1963 und der Gewinn des Direktmandats bei der Bundestagswahl 1965 im Wahlkreis Neustadt/Speyer. Wavra erwähnte im Folgenden auch Vogels Tätigkeit von 1967-1976 als rheinland-pfälzischer Kultusminister, die Zugehörigkeit zum Bundesvorstand der CDU von 1975-2006 und als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz als Nachfolger Helmut Kohls seit 1976 bis zum Rücktritt 1988. Diesem sei, wie Wavra es formulierte, ein "putschartiger Sturz" als CDU-Vorsitzender von Rheinland-Pfalz vorausgegangen, was die CDU bis heute in diesem Land die Mehrheit gekostet habe. Bernhard Vogels Bereitschaft, 1992 als Ministerpräsident nach Thüringen zu gehen, habe sich bis 2003 als Segen für Thüringen erwiesen., das heute noch unter den neuen Bundesländern wirtschaftlich die erste Stelle einnehme. Natürlich erwähnte Wavra auch Bernhards älteren Bruder Hans-Jochen, der in der SPD eine große Karriere machte, und von Kurt Schumacher so fasziniert gewesen sei wie Bernhard von Adenauer. Hans- Jochen war u.a. Oberbürgermeister in München, Regierender Bürgermeister von Berlin, Bundesjustizminister und Fraktionsvorsitzender der SPD. Wavra schloss seine Ausführungen mit einem Hinweis auf ein 2007 von beiden Brüdern verfasstes Buch mit dem originellen Titel "Deutschland aus der Vogelperspektive". Bereits bei seinen ersten Worten wurde der Humor Vogels deutlich. Da die Abiturienten einem ausgegebenen Motto gemäß fast alle im Schlafanzug gekommen waren, meinte Vogel launig, dass er schon zu wachen und schlafenden Zuhörern, aber noch nie zu so viel Hörern im Schlafanzug gesprochen habe. Er stellte fest, dass Zeitzeugen aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung immer in Konflikt mit den Historikern stünden, da die eigene Zeit "der wissenschaftlichen Erkenntnis nur in begrenztem Maße zugänglich" sei. Kenntnis der Geschichte sei unbedingt wichtig, wie Golo Mann gesagt habe, werde der die Zukunft nicht in den Griff bekommen, der die Vergangenheit nicht kenne. Jacob Burckhardts Formulierung, "Geschichtslosigkeit führt in die Barbarei", werde da noch deutlicher.
Vogel erinnerte sich an die Zeit des Kriegsendes, als er München das erste Mal ohne Verdunkelung erlebte, und den tränenreichen Abschied von Gießen, aber auch an Fahrten zum Kaffeetrinken in der "vornehmen Atmosphäre" Bad Nauheims. Er machte den Abiturienten klar, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes als direkte "Antwort auf die Verbrechen der NS-Zeit und den Unrechtsstaat der DDR" zu sehen sei . Auf die deutsche Teilung eingehend, erinnerte er sich, dass es unmittelbar nach dem Krieg schwieriger gewesen sei, von Wiesbaden nach Mainz als von Bad Hersfeld nach Eisenach zu kommen. Honeckers Verblendung habe er bei einer Äußerung zu Glasnost und Perestroika unter Gorbatschow erlebt: "Was kümmerts uns, wenn der Nachbar seine Wohnung neu tapeziert ?"
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen und in jeder Zeit freundlichen Antworten auf Fragen gut informierter Schüler verdeutlichte Vogel, dass für die Wiedervereinigung auch gezahlt werden musste, insbesondere Wohnungern für die abziehenden russischen Soldaten waren zu finanzieren. Mit der Überwindung der Teilung müsse Deutschland auch mehr Verantwortung übernehmen. Mit der deutschen Einheit sei lediglich ein Kapitel geschlossen worden. Es liege an der jetzigen Schülergeneration, neue Aufgaben zu erkennen, wie etwa Im Bereich Umwelt, Strom, Energie, weltweiter Frieden, Globalisierung und nicht zuletzt weltweite Bekämpfung des Hungers. "Lasst euch auf die Probleme ein, dann können auch scheinbar unlösbare Probleme gelöst werden. Auch ihr könnt die Probleme lösen", ermutigte Vogel die jungen Erwachsenen ausdrücklich. Ein Politikerleben könne als Lebensaufgabe erfüllend sein, tauge aber nicht dazu, Reichtümer zu sammeln.
Mit prasselndem Beifall dankte das Auditorium Bernhard Vogel. Besonders herzlich fiel auch der Dank von Schulleiter Dr. Tobias Angert aus, der den Besuch Vogels als einen Höhepunkt dieses Schuljahres würdigte, zu dem auch Hans-Peter Wavra federführend beigetragen habe. Der Schulleiter erinnerte sich gerne an die gemeinsame Zeit und viele fröhliche Begegnungen mit Bernhard Vogel im Zentralkomittee der Deutschen Katholiken (ZdK).