Roland Jahns Weg vom Stasi-Opfer zum Bundesbeauftragten
Selten verfolgten Schülerinnen und Schüler der St.-Lioba-Schule den Besuch eines Zeitzeugen so mit angehaltenem Atem und voller Spannung wie kürzlich die Jugendlichen der Qualifikationsphase 2 den Besuch von Roland Jahn. Der sprach nach freundlicher Begrüßung durch Schulleiter Bernhard Marohn und Hans Peter Wavra für die Fachschaft Geschichte im Musiksaal über die Rolle der Staatssicherheit (Stasi) im politischen System der DDR. Diese gespannte Aufmerksamkeit hatte ihre Ursache zum einen in der Person des Gastes, denn Roland Jahn ist nicht nur Opfer der Stasi, sondern als Nachfolger des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und von Marianne Birthler mittlerweile „Beauftragter der Bundesregierung für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR“ und damit auch Politiker. Ein anderer Grund war sicherlich, dass diesmal die von Wavra organisierte Begegnung als Gesprächsrunde gestaltet war. Durch die Mitwirkung der Schülerinnen Nele Musch und Sophie Weihs, die bestens vorbereitet waren, gewann die Doppelstunde eine Dichte, die im normalen Unterricht nicht erreichbar wäre.
In einer kurzen Einführung stellte Wavra den 1953 in Jena geborenen DDR-Oppositionellen als jemanden vor, der nicht als Oppositioneller geboren worden sei, sondern durch die permanente Einschränkung von Freiheiten dazu gemacht wurde. Angesichts des Eindrucks, dass derzeit die Demokratie in vielen Ländern auf dem Rückzug zu sein scheine, gewinne die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit besondere Bedeutung. Von verschiedenen Seiten werde eine zunehmende Verharmlosung angestrebt, dabei sei das Überwachungssystem der Stasi besonders schlimm gewesen.
Beispiele dafür konnte Jahn mehr als genug aus eigener Erfahrung liefern. „Diktaturen merkt man nicht so einfach“, stellte er seine Entwicklung dar. „Auch in einer Diktatur scheint die Sonne. Und Party machen geht auch.“ Doch der kleine Alltag könne nicht losgelöst vom Ganzen betrachtet werden. So habe es auch kein einzelnes Ereignis gegeben, das ihn zum Oppositionellen machte. Um studieren zu können, habe er erst den Grundwehrdienst bei der NVA leisten müssen. Dabei hätte es zum Einsatz in der Grenztruppe mit Schießbefehl kommen können. Frage an die Hörer: „Was hättet ihr gemacht? Auf das Studium verzichtet oder dem Zufall vertraut?“
So schlängele man sich durch sein Leben und versuche, trotz aller Repressalien seinen Weg zu finden. Für ihn bedeutete das aufgrund kritischer Nachfragen zur Ausbürgerung von Wolf Biermann die Zwangsrelegation von der Uni und Bewährung als Transportarbeiter. Das zur Hälfte als Stalin, zur anderen als Hitler geschminkte Gesicht bei einer Maiparade brachte Jahn sechs Monate U-Haft ein (1982). Bereits ein Jahr vorher war sein Freund Matthias Domaschk nach Stasi-Verhören ums Leben gekommen. Während viele resignierten und zum Teil die DDR verließen, blieb Jahn. Gedankt wurde ihm der Verbleib in der DDR mit 22 Monaten Haft „wegen Herabwürdigung der staatlichen Ordnung und Missbrauch öffentlicher Symbole“. Seinem Vater, der mit Herzblut den FC Carl Zeiss Jena, einen der DDR-Spitzenfußballclubs, aufgebaut hatte, wurde die Ehrenmitgliedschaft entzogen und er aus dem Verein geworfen. Letzteres machte man auch mit dem Sohn, der vor Ort bleiben wollte. Man warf ihn gefesselt in einen Zug nach Westen und bürgerte ihn aus.
Jahn bezog sich auf die Entwicklung in der Türkei, die schleichend und unter Bezug auf „Volkssouveränität“ erfolge. Die Jugendlichen machte er mit dem Biermann-Wort „Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um“ nachdenklich. Für ihn sei die „Sippenhaft“ im Nachhinein das Schlimmste gewesen.
„Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich“, stellte der mit begeistertem Applaus belohnte Jahn abschließend dar. Einer, der den Stasi-Terror überlebte und jetzt 1600 Mitarbeiter leitet.
Text: Dr. Hans-Wolfgang Steffek