Staatsmann Bernhard Vogel sprach auf Einladung der St.-Lioba-Stiftung
„Mit der Wiedervereinigung ist ein Kapitel der Geschichte abgeschlossen. Wir haben allen Grund zur Dankbarkeit. Heute aber stehen wir vor neuen Herausforderungen. Dafür gilt es, Mut zu machen. Auch unsere Aufnahmefähigkeit hat Grenzen. Von den Flüchtlingen ist die Kenntnis und Einhaltung des Grundgesetzes zu fordern.“ Kernsätze aus dem Vortrag von Dr. Bernhard Vogel, der auf Einladung der St.-Lioba-Stiftung am Montagabend in der Aula der Privatschule in der Trägerschaft des Bistums Mainz sprach. Das über zweihundertköpfige Publikum setzte sich aus allen Jahrgängen der Schulgemeinschaft zusammen, was ein sicheres Indiz war für die Attraktivität von Thema und Referent anlässlich des 25. Jubiläums der Wiedervereinigung.
Nach dem musikalischen Beginn, für den ein ambitioniertes Trio mit Katharina Buhrke (Klarinette), Konstantin Jockers (Violoncello) und Antonia Faust am Klavier mit einer Beethoven-Komposition beeindruckend sorgte, begrüßte Schulleiter Bernhard Marohn die zahlreichen Gäste, darunter auch den Bad Nauheimer Bürgermeister Armin Häuser und den emeritierten Historiker Prof. Dr. Alexander Demandt. Er erinnerte an die prominenten Gäste der ersten beiden Dialog-Veranstaltungen mit Ex-Fraport-Manager Bender, Börsenexpertin Anja Kohl und Zoodirektor Niekisch und dankte der Stiftung dafür, sich „um das Umfeld der Schule“ zu kümmern. Mit dem renommierten CDU-Politiker Dr. Bernhard Vogel begrüßte er einen Mann, der aktiv die Wiedervereinigung mitgestaltet habe. Dass Vogel bereits zum dritten Mal an der Schule zu Gast sei, sei dem Engagement und den guten Kontakten des Geschichts- und Lateinlehrers Hans Peter Wavra zu danken. Diesem übergab er das Wort zu einer thematischen Einführung, die Wavra gewohnt kenntnisreich und souverän gestaltete.
Er hob hervor, dass die Wiedervereinigung in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht auf der Tagesordnung gestanden habe. Er erinnerte daran, dass Honecker noch zur 40-Jahr-Feier der DDR die Ansicht vertrat, die Mauer werde auch in 100 Jahren noch stehen und Willy Brandt etwa gleichzeitig die Wiedervereinigung als d i e Lebenslüge der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet habe. Wavra benannte auch Alleinstellungsmerkmale von Dr. Bernhard Vogel: „Er hält nicht nur den Rekord an Jahren als dienstältester deutscher Ministerpräsident, er war zudem der einzige Politiker, der in zwei Bundesländern Regierungschef war und der einzige, der jemals in einem Land West- und Ostdeutschlands regierte.“ Die DDR bezeichnete er, ganz ohne die oft gepflegten Beschönigungen, als einen „totalitären Unrechtsstaat mit im Inneren durchaus faschistischen Diktaturen vergleichbaren Strukturen“. Was noch fehle, sei eine komplette wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur, schloss der Geschichtslehrer.
Unter ähnlichen Bedingungen hatte auch Cristian Braica (Kontrabass) in Rumänien gelitten, der zusammen mit seinem Sohn Paul Braica am Klavier mit der etwas schwermütigen „Balada“ (Komponist: Ciprian Porumbescu) für ein künstlerisch ausgereiftes Zwischenstück sorgte. Dr. Vogel präsentierte sich in bester Laune und berichtete von seinen Erfahrungen als gestaltender Politiker der Wiedervereinigung, Zeitzeuge und humorvoller Privatmann. Er sparte auch nicht mit persönlichen Anekdoten. Mit Wavra teilte er die Ansicht, dass die vergangenen 25 Jahre bei allen Fehlern und Schwächen doch „überaus erfolgreich“ gewesen seien. Vogel benannte Helmut Kohl, George W. Bush sen. und Michail Gorbatschow als die Männer, die Deutschlands Wiedervereinigung erst möglich machten. Heute sei Deutschland nicht nur von der Größe, sondern auch vom politischen Gewicht her von besonderer Bedeutung. Die Flüchtlinge seien eine neue Herausforderung, die von den nächsten Generationen zu lösen sei. In der Innenpolitik gelte es den Spagat zwischen euphorischen Helfern und ehrlich Besorgten zu bewältigen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Für Christen sei es Pflicht, Bedrohten zu helfen. Herz und Verstand müssten zusammenkommen, denn auch unser Land könne nicht alle aufnehmen. „Für mich selbst ist der Blick in die Geschichte notwendig, um nach vorne zu schauen“, schloss Vogel seine bemerkenswerten Ausführungen, wobei er allen Mut machte, denn Krisen könne man zwar beklagen, vor allen Dingen aber auch bewältigen. Fragen aus dem Publikum beantwortete der Staatsmann gerne und pointiert .
Hans-Wolfgang Steffek