Zeitzeugen berichteten über Massaker
“Nach Schmerz, Horror, Massaker und unfassbarer Brutalität haben wir Überlebenden kennengelernt, dass es auch selbstlose Liebe und Güte gibt“, teilte Anna-Rosa Nannetti im Musiksaal der Sankt Lioba Schule den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 9 mit, die gekommen waren, um von Nachkommen der Opfer eines Massakers Details über ein Kriegsverbrechen zu erfahren. Damit setzte die Privatschule in der Trägerschaft des Mainzer Bistums ihre seit Jahren gepflegte Tradition der Zeitzeugenbesuche fort, die einen sehr viel intensiveren Zugang zur Geschichte und Politik ermöglichen als „normale“ Unterrichtsstunden und immer wieder auch dem Wachhalten der Erinnerung an Nazi-Verbrechen dienen. Während die Verbrechen an europäischen Juden im Bewusstsein eines jeden Schülers vorhanden sein sollten, dürfte außer dem Umfeld der Opfer nur wenigen bekannt gewesen sein, dass sich während des 2. Weltkrieges auch durch die von Deutschen geliebte Toskana eine von der SS gelegte Blutspur zog.
Daran erinnerten neben Anna-Rosa Nannetti auch Mathilde Grünhage-Monetti, die der Vernichtung entging und als Übersetzerin agierte, sowie Gianluca Luccarini, dessen Vater Mitglied der Widerstandsgruppe „Stella Rossa“ war und der bis auf diesen fast seine gesamte Familie durch die von der SS geplante und ausgeführte Vernichtungsaktion verlor. Die Veranstaltung wurde ermöglicht durch die Kontakte der schon mehrfach bei Schülerwettbewerben mit ihren Klassen erfolgreiche Geschichtslehrerin Dr. Brigitte Wavra, die die Kontakte zu Brigitte Schulz von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung herstellte. Schulz organisierte diesen außergewöhnlichen Projekttag und hatte neben den drei italienischen Nachkommen der Opfer auch noch die Historikerin Monika Engel mitgebracht, die den historischen Rahmen des Geschehens im Jahr 1944 in Italien vorstellte. Zu allen durch die Schulleitung herzlich begrüßten Besuchern zählte auch Francesca Coltelazzi, die als pädagogische Leiterin der an das NS-Massaker erinnernden Friedensschule Monte Sole dafür sorgte, dass die Jugendlichen daran arbeiten konnten, den Gegenwartsbezug herzustellen.
Letzterer erscheint, wie auch die Zeitzeugen betonten, durchaus gegeben. Beteiligte des Verbrechens, an dem neben der SS auch reguläre Truppen, die die „Gotenlinie“ gegen die Partisanen und alliierte Truppen halten sollten, beteiligt waren, leben zum Teil noch heute straffrei unter uns, da in Italien verhängte Urteile in Deutschland keine Auslieferung nach sich zogen, so dass ein am Massaker beteiligter SS-Mann in seiner Stadt mit einer Ehrung gewürdigt wurde. Flüchtlinge und Vertriebene leiden auch heute wie die Kinder in den Apenninorten um Bologna unter skrupellosen Gewalttaten und bestialischen Morden und sind angewiesen auf Freunde und Helfer. Von der Flucht vor der SS durch reißendes Wasser, von ermordeten Frauen und Kindern war zu hören. Aber auch von Taten, die den Menschen zum „Meisterwerk der Liebe“ machten. Neue Familien nahmen die Kinder der Opfer in ihre Familie auf, so dass manche nach keiner sogar zwei Familien hatten.
Ergreifende Schilderungen einer Vernichtungsaktion, die in den Gemeinden Marzabotto, Monzuma und Grizzana zwischen dem 29.9. und 5.10. 1944 den Tod über 770 und mehr Menschen, darunter 216 Kinder, brachte. Von der SS als erfolgreiche Aktion gegen Partisanen und „Bandenhelfer“ gewertet. Umso erstaunlicher, dass bei den Überlebenden nicht Hass und Rache geblieben sind, sondern der Dank für alle, die Menschlichkeit zeigen. Aber: „Schlimm ist, dass keiner der Schuldigen Reue zeigte oder um Vergebung bat“, fasste die heute in Karben lebende Mathilde Grünhage-Monetti zusammen.
Bericht und Foto: Dr. Hans-Wolfgang Steffek